Ist das schon Depression, oder kann das weg? Viele Menschen neigen nicht nur in den dunklen Monaten zu Stimmungsschwankungen, diffusen Ängsten, Abgeschlagenheit, gedämpfter Wahrnehmung oder Zukunftssorgen. Doch so offensichtlich, wie sich ein Beinbruch im Röntgenbild abzeichnen lässt, ist die Diagnostik einer psychischen Erkrankung dagegen schwierig. Aus Furcht vor möglicher Stigmatisierung am Arbeitsplatz, in der Familie und bei Freunden, wagen viele Betroffene den Gang zum Facharzt oder Psychotherapeuten überhaupt nicht, sondern leiden still vor sich hin. Dass durch diese Zurückhaltung langfristig eine chronische und manifeste Störung werden kann, die dann nur noch schwierig zu behandeln ist, mag den vielen Betroffenen überhaupt nicht klar sein. Das wird schon wieder vergehen, wenn die Sonne hervorkommt! Solch typische Antworten sollen Angehörige beschwichtigen und uns selbst beruhigen. Doch in den allermeisten Fällen handelt es sich eben nicht um eine temporär auftretende, saisonale Erscheinung, sondern vielmehr um eine durchaus gewichtige Erkrankung der Seele, der man viel besser dann begegnen kann, wenn man sich ihr früh stellt und eine Behandlung zeitig beginnt. Aber was können wir tun, wenn wir bei uns selbst oder bei Mitmenschen den Eindruck haben, dass die emotionale Schwingungsfähigkeit herabgesetzt ist, wir nicht mehr adäquat auf Freude oder Trauer reagieren, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit im Vordergrund stehen, Angstattacken und panische Reaktionen mit körperlichen Begleiterscheinungen wie Schwitzen, Herzrasen oder Luftnot auftreten und letztendlich eine Wesensveränderung einhergeht, die sich für Außenstehende beispielsweise an sozialer Isolation, Aggression und Zurückweisung zeigt? Ist denn jede Verstimmung therapiebedürftig? Wann sollte ich zum Arzt gehen und welche Anlaufstelle gibt es für den Zweifel, dass ich tatsächlich eine psychische Störung vermute?
Zunächst einmal sollten wir uns klar machen: Auch wenn Herzinfarkte oder Schlaganfälle deutlich häufiger in den Medien auftauchen, kann deren Einordnung als Volkskrankheit nicht darüber hinwegtäuschen, dass mittlerweile auch jeder Vierte Deutsche im Laufe seines Lebens an einer mehr oder weniger schweren seelischen Störung erkrankt. Wie gesagt: sie wird nicht so offenbar wie sich eine körperliche Erkrankung zeigt, versteckt sich lange Zeit und kann vom Betroffenen sehr oft nicht richtig gedeutet und in ihrer Schwere kaum eingeschätzt werden. Blickt man allerdings auf die Verbreitung der psychischen Störungen in unseren Breitengraden, können wir keinesfalls davon sprechen, dass diese Erkrankungen Nischen bilden. Viel eher sind sie in den Medien und der öffentlichen Diskussion weiterhin unterrepräsentiert, weil sie schambehaftet bleiben. Während viele physische Leiden darauf hindeuten, dass ein Mensch hart gearbeitet hat und deshalb erkrankt, wirft man vielen psychisch beeinträchtigten Menschen vor, sie sollten sich doch einfach nicht so anstellen. Dabei sind die Korrelationen mittlerweile völlig aufgeweicht: Depressiv wird auch der reich verdienende Manager, an BurnOut erkrankt der Chef eines großen Unternehmens. Gleichsam kann der aufstrebende Wirtschaftsstudent an Psychose leiden und nicht zuletzt wird der hochrangige Angestellte am Arbeitsplatz derart gemobbt, dass er aus Angst und Traumatisierung seinen Posten räumt.
Während wir für viele körperliche Erkrankungen klare Indikatoren haben, die sie unmittelbar beweisen und damit eine Diagnose stichfest machen, ist das bei vielen psychischen Erkrankungen anders. Der Psychiater und Psychotherapeut ist wesentlich auf die subjektiven Schilderungen des Betroffenen angewiesen und muss aus diesen Angaben versuchen, eine objektive Einklassifizierung der Symptome vorzunehmen, damit eine adäquate Therapie eingeleitet werden kann. Wann aber erkenne ich als Betroffener oder Angehöriger, dass Hilfe notwendig wird? Wesentliches Merkmal ist der Leidensdruck, der sich anhand unterschiedlicher Faktoren einordnen lässt: die persönliche Wahrnehmung ist ein entscheidender Richtwert für die Frage, ob ein vorliegendes Problem bereits pathologischen Charakter eingenommen hat. Wie lange dauert die Symptomatik bereits an? Wie stark hat sie sich auf den Lebensalltag ausgeprägt? Werde ich in der Ausführung meines täglichen Daseins durch die seelischen Behinderungen beeinträchtigt? Kann ich an kaum etwas Anderes mehr denken als an die negativen Gefühle? Oder bin ich durch meine Ängste, Sorgen und die gedrückte Stimmung derart eingenommen, dass mir soziale Kontakte und die Bindungen zu Familie und Freunden zunehmend verloren gehen? Wer solche Fragen ehrlich beantwortet und feststellt, dass die psychischen Einschränkungen bereits so weit fortgeschritten sind, dass die Lebensqualität leidet und wir unseren Fokus und unsere Beschäftigung zeit-, ressourcen- und kräftemäßig mehrheitlich auf die Seelenqual verwenden müssen, muss die Notwendigkeit einer fachkundigen Abklärung der vorliegenden Probleme dringend anerkennen.
Die Scheu vor dem Gang zum Facharzt ist in der Regel groß, weil wir uns psychische Verwundung ungern eingestehen wollen. Für viele Menschen bleibt sie weiterhin Ausdruck von Versagen und Verlust. Es braucht daher oftmals lange, bis die Pein uns derart übermannt, dass eigentlich kein anderer Ausweg mehr besteht, als sich professionelle Hilfe zu suchen. Auch Angehörige haben nur wenig Spielraum: sie können den Betroffenen zwar immer wieder ermutigen, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Doch letztlich sind auch ihnen die Hände gebunden. Solange keine Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt, bleiben ihnen lediglich Appelle. Das Mitansehen von seelischer Bürde ist für sie oftmals noch deutlich belastender als für den Erkrankten selbst. Und doch gilt in unserem Land das Gebot der Eigenverantwortung. Nur in den seltensten Fällen können wir gezwungen werden, psychiatrische Intervention in Anspruch nehmen zu müssen. Der freie Wille und die persönliche Entscheidung haben einen hohen Stellenwert und können nicht einfach übergangen werden. Zumeist erwächst aus einem fortdauernden Leiden eine große Anspannung, die letztlich zu einer Einsicht führt und die Sinnhaftigkeit des medizinisch-therapeutischen Einschreitens deutlich macht. Zumeist hilft es dann, sich zunächst einer Vertrauensperson zuzuwenden und vorerst den Gang zum Hausarzt zu wählen. Er kann im Rahmen der Psychosomatischen Grundversorgung eine erste Einschätzung abgeben, inwieweit das vorliegende Problem ernsthaft ist und weiter abgeklärt werden sollte. Im Zweifel kann die Vorstellung in einer Psychotherapeutischen Sprechstunde endgültigen Aufschluss über das mögliche Vorliegen einer Krankheit bringen und die Tür für weitere beratende, therapeutische, diagnostische und medikamentöse Ansätze öffnen. Eine Vermittlung an die zuständigen Stellen kann im Zuge eines geordneten Konzepts den Betroffenen entsprechend lotsen.
Wesentliche Bedingung, um in der Therapie und Behandlung voranzukommen, ist die Annahme und das Eingestehen, an einem psychischen Leiden erkrankt zu sein. Hierbei hilft sicher die Erkenntnis, dass seelische Störungen eben keinesfalls ein Ausdruck von Misserfolg oder Unfähigkeit sind, das eigene Leben zu meistern. Viel eher sollte uns bewusst sein, dass zahlreiche hormonelle und Stoffwechselvorgänge beteiligt sind , also oftmals auch eine physiologische Ursache zum Entstehen der psychischen Erkrankung beitragen kann. Sie ist frei von der Einflussmöglichkeit durch uns selbst, weshalb sie jeden von uns treffen kann. Ohnehin: die meisten Beweggründe zum Entfachen eines Seelenleidens, von denen man heute weiß, sind nicht durch unser Denken oder Verhalten zu tangieren. Viel eher spielen genetische, neuroendokrine, psychodynamische und biografische Aspekte einen wesentlichen Stellenwert in der Entstehung von psychischen Erkrankungen. Es gibt also keinerlei Grund dazu, sich für die Krankheit Vorwürfe zu machen, oder sich die Schuld dafür zu geben. Betroffene sind keine Versager, sondern werden von ihrem Innersten lediglich dazu aufgefordert, etwas am Lebensstil zu ändern, aus dem Gleichgewicht geratene Metabolismen des Körpers auszugleichen, Traumata oder Mobbing aufzudröseln, familiäre Beziehungen zu überprüfen und zu kitten, Gefühle neu zu ordnen, oder Vergangenes zu verarbeiten. Daneben gibt es Anregungen zur Selbsthilfe, wie man sich gegen psychische Erkrankung besser wappnen und eine seelische Widerstandskraft aufzubauen vermag und mithilfe derer man die psychotherapeutische, psychopharmakologische Behandlung gleichermaßen unterfüttern kann:
1. Glaubenssätze verändern: Psychische Erkrankungen lehnen wir deshalb so oft ab und verleugnen sie, weil wir der festen Überzeugung sind, dass sie Ausdruck von Schwachheit seien. Diesen Glaubenssatz zu überwinden, kann erheblich dazu beitragen, dass wir eine seelische Störung als einen Teil von uns selbst annehmen und respektieren. Wir akzeptieren damit nicht, uns passiv mit ihr abfinden zu müssen. Aber wir können ausprobieren, die Chance und Sinnhaftigkeit hinter der Erkrankung zu verstehen und daraus zweckmäßige Glaubenssätze zu formulieren, die uns anspornen, eine proaktive Auseinandersetzung mit der Erkrankung vorzunehmen und im besten Falle dann sogar an ihr wachsen zu können.
2. Seelische Werkzeugkiste packen: Was kann mir in Zeiten psychischer Not helfen? Gibt es ein Buch, das mich aufbaut? Musik, die mich erheitert? Einen Glücksbringer, der mich begleitet? Fotos, die mich an gute Zeiten erinnern? Jeder von uns kann seine persönliche Box zusammenstellen, die man aus der Ecke holen kann, wenn die Gedanken wieder einmal einseitig werden und sich die Stimmung drückt. In solchen Augenblicken hilft es ungemein, wenn man sich auf intime und gleichsam stets verlässliche Dinge rückbesinnen kann, mit denen man Halt, Geborgenheit und Standfestigkeit verbindet. Emotionalität spielt bei psychischen Erkrankungen eine enorm bedeutsame Rolle, weshalb es durchaus ratsam sein kann, sich mithilfe von Erinnerungen und angenehmen Gefühlen und Empfindungen Stabilität in wackeligen Momenten zu erzeugen. Wir selbst wissen am besten, mit welchen Katalysatoren aus unserem Alltag das am ehesten gelingt.
3. Grenzen neu definieren: Wenn eine seelische Erkrankung unser Leben beeinflusst, verändert sich automatisch auch das Spielfeld unseres Daseins. Zweifelsohne bringt Krankheit nicht selten Einschränkung mit sich. Natürlich sollte es stets unser Ziel und Ansinnen sein, diese Beengung wieder loszuwerden und die Weite zurückzugewinnen, die wir vor Eintritt der Erkrankung genießen konnten. Dennoch hat es wenig Sinn, wenn wir versuchen, die Ursprünglichkeit mit Gewalt wiederherstellen zu wollen. Manches Mal ist es notwendig, Gegebenheiten anzunehmen und zu versuchen, in diesen neu gesteckten Grenzen das Beste aus unserem Leben zu machen. Dazu braucht es eine gewisse Bereitschaft zur Veränderung und die Erkenntnis, dass Menschen diversen unveränderlichen Schicksalen ausgesetzt sind. Da bleibt oftmals nur die Gelassenheit, sich im veränderten Rahmen auszubreiten und die noch zur Verfügung stehende Fläche vollends auszukosten. Hoffnungen und Wünsche sind wichtig. Wir sollten aber vermeiden, krampfhaft gegen Ist-Zustände anzutreten, denn der Einsatz dafür raubt uns Energie für Schönes, das auch mit Erkrankung weiter erfahrbar bleibt.
4. Oasen-Momente einbauen: Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Stress und psychischer Erkrankung ist vielfach belegt. Deshalb gebietet es sich nahezu bei jeder Form von seelischem Leiden, Augenblicke zum Durchatmen, zum Abstandnehmen, zum Innehalten in den Alltag einzubauen. Mithilfe von Entspannungstechniken kann dies gut gelingen, ebenso mit bewussten Auszeiten, in denen wir uns das gönnen, was sonst zu kurz kommt. Ob es nun das Lesen eines langersehnten Buches, ein ausgedehntes Bad, ein leckeres Essen, eine halbe Stunde Mittagsschlaf oder ein Spaziergang in der Natur ist: Das explizite Inanspruchnehmen von stressreduzierenden Maßnahmen senkt das Level von Angespanntheit ab und vermindert damit auch die Aktivität der psychiatrischen Symptomatik. Entscheidend ist, dass wir möglichst viele Sinne beteiligen, denn durch sie lässt sich das negative Wirkungsniveau von Stressoren regulieren.
5. Ausgewähltes Umfeld einbinden: Auch wenn wir in der heutigen Zeit dazu neigen, die meisten Probleme mit uns selbst ausmachen zu wollen, weil wir Andere damit nicht belasten möchten, ist es ungemein hilfreich, wenn wir im Falle einer seelischen Erkrankung ein klar definiertes und von uns ausgewähltes Umfeld in die Diagnose, die Symptomatik, die Behandlung und die Konsequenzen der Erkrankung einbeziehen. Jeder von uns sollte dabei ganz individuell entscheiden, wer aus dem familiären, freundschaftlichen und beruflichen Umkreis ins Vertrauen gezogen wird. Nicht nur das Teilen der Nachricht über die eigene Betroffenheit lässt Last von uns fallen. Auch kann es den Menschen in unserer Umgebung erleichtert werden, unser Verhalten und Denken besser zu verstehen, wenn bekannt ist, dass wir unter einer bestimmten Krankheit leiden. Auch deren neutrale und außenstehende Haltung trägt wesentlich dazu bei, andere Perspektiven einzunehmen und manche subjektive Realität zu einer objektiven Wahrheit umformulieren zu können. Ihr kritischer Blick auf unsere Person ist ein wichtiger Spiegel, der uns im Zurechtrücken mancher Einfältigkeit sehr wertvoll sein kann.
6. Persönlichkeitstraining in Anspruch nehmen: Verschiedene Anbieter von Coaching bis Volkshochschule offerieren mittlerweile regelmäßige Kurse, um die eigene Persönlichkeit zu trainieren. Ziel dabei ist es vor allem, das Selbstbewusstsein zu kräftigen und somit Zweifel an der eigenen Resilienz zu zerstreuen. Mit Techniken zur Stimulierung des Selbstwertes kann erreicht werden, dass ein Erkrankungsbild weniger stark an uns heranrückt. Wir können uns mit einer gefestigten Persönlichkeitsstruktur deutlich von unserer Erkrankung abgrenzen, die zwar einerseits synton zu uns gehört/ANDERERSEIT???. Letztlich ist sie aber inkongruent und passt nicht mit unserer eigenen Vorstellung von Gesundheit und Abschirmkraft zusammen. Daher hilft ein entsprechendes Üben frischer und überarbeiteter Wertzuschreibungen an unsere eigene Person, beispielsweise in Form einer überdachten Liste an Eigenschaften, die uns auch in Krisen der Vergangenheit wetterfest machten.
7. Mentale Stärke erlernen: Es sind nicht die Bodybuilder dieser Welt, die mit ihrer Kraft überzeugen. Viel eher sind es die Menschen, die mentale Standhaftigkeit beweisen und sich auch in schwierigen Lebenslagen nicht von einem gewissen Grundvertrauen abbringen lassen. Solch eine in sich ruhende Stabilität lässt sich durchaus erlernen, indem wir auf das blicken, was uns resilient macht und womit wir als anthropogene Wesen ausgestattet sind: Wir haben in der Sozialisation zwar Abstand von Instinkten genommen. Dafür hat sich unsere Fertigkeit zur vernünftigen Umgangsweise mit Ängsten und Sorgen über die Jahrhunderte derart entwickelt, dass wir es wagen können, sie zunächst ungefiltert zuzulassen und uns mit ihnen zu konfrontieren. Das Annehmen der Selbstverständlichkeit von scheinbar unpassenden Emotionen erzeugt Größe, weil wir den Menschen als integer wahrnehmen, sobald er sich seiner Defizite gewahr wird. Lenken wir unsere Konzentration dann auf unsere innere Mitte, eröffnen wir den Zugang zu verborgenen Schätzen, die uns bereits früher dabei halfen, Not zu überwinden und Unvollkommenheit als Herausforderung zu definieren. Entsprechend können wir mental stark sein, wenn wir auf Ressourcen zurückgreifen, die uns schon einmal in den Tiefen des Lebensalltages geholfen haben. Sich dem Können dieser Fähigkeit anzuvertrauen, wirkt wie eine Immunabwehr.
8. Niedrigschwellige Angebote wahrnehmen: Wer von einer psychischen Erkrankung heimgesucht wird vermutet meist, er sei der Einzige mit dieser Krankheit. Das Wissen darum, dass viele andere Menschen davon betroffen sind, kann eine erhebliche Entlastung für den Einzelnen darstellen. Gerade deshalb ist bei seelischen Störungen das Aufsuchen einer Selbsthilfegruppe eine immerwährende Empfehlung. Denn dort kann man entdecken, dass man sich mit dem eigenen Leiden im Kreise vieler anderer Betroffener befindet. Das erleichtert die Annahme der Erkrankung und lässt das schwere Kreuz, das mit der Diagnose einhergeht, auf mehrere Schultern verteilen. Denn das Ansinnen der Selbsthilfe ist es seit jeher, Erfahrungsaustausch zu betreiben, um einerseits das persönliche Päckchen von der Seele zu reden. Andererseits können die eigenen und fremden Erkenntnisse im Umgang mit einer psychischen Störung im Alltag von jedem auf die eigene Lebenssituation umgemünzt werden und damit einen guten Anhaltspunkt und Tipp darstellen, wie sich auch das persönliche Beschwernis leichter ertragen lässt. Daneben sind es die psychosozialen Gesprächsangebote vieler unterschiedlicher Träger, die sich in den Städten und Gemeinden finden, um bei Fragen zu möglichen sozialen Unterstützungsleistungen kompetente Auskunft zu geben. Auch sie sind ein Mosaikstein in unserer Bewältigungskonzeption.
9. Kognitives Umdenken fördern: Unsere Wahrnehmung ist beim Blick auf eine eigene Erkrankung stets verwackelt, weil sie mit der inneren Ablehnung korreliert, die wir gegenüber jeder Form von Beschädigung unserer seelischen Integrität hegen und vorantreiben. Wir neigen dazu, Situationen zu dramatisieren, Assoziationen zu verschieben und Konnotationen bewusst zu beschweren, weil unser psychischer Gesamtzustand eine Verzerrung der Tatsächlichkeit bedingt. Gleichermaßen haben die Sorgen, Ängste, Nöte und Probleme unter einer rationalen und realistischen Sichtweise oftmals kaum mehr Bestand. Deshalb sollte es auch abseits einer verhaltenstherapeutisch angeleiteten Psychotherapie unsere Mühe wert sein, immer wieder neu unsere Position zu hinterfragen und die Einfallswinkel, mit denen wir auf unseren Zustand blicken, regelmäßig zu kalibrieren. Dies gelingt am ehesten mit der Gegenhaltung von wahrhaftigen und unabhängigen Bewertungen von Alltagsmomenten durch eine außenstehende Person, die es schaffen kann, eine Reflexion verschiedener Systeme zu bieten, die wir annehmen oder zumindest als Möglichkeit in Betracht ziehen können. Sofern es uns gelingt, die Perspektive zu verstehen und sie selbst einzunehmen, relativiert sich manch Zuschreibung unsererseits. Dies hilft schlussendlich, völlig übertriebene Erwartungen zu schüren und Enttäuschungen zu vermeiden.
10. Zielmarkierungen realistisch gestalten: Wie bei jeder Krankheit wünschen wir uns auch bei psychischen Problemen, dass sie möglichst schnell wieder verschwinden. Tatsächlich gibt es viele Fälle, bei denen die seelische Erkrankung lediglich als eine Verstimmung temporär andauert und sich beispielsweise durch besseres Wetter schon deutlich aufhellen lässt. Doch nicht selten verlaufen psychische Störungen auch manifest und chronisch, eine Linderung der Symptome ist dann zwar möglich, eine schnelle Heilung scheint dagegen ausgeschlossen. Doch auch dieser Umstand muss uns nicht verzagen lassen, wenn wir uns darauf einlassen, an der Krankheit zu arbeiten und vernünftige Zwischenschritte zu setzen, die wir mithilfe von mannigfaltiger Unterstützung erreichen möchten. Diese Teilabschnitte zu markieren und sie erreichbar zu halten, kann uns wesentlich dabei unterstützen, immer wieder neue Kraft aufzubringen, uns auf Etappen einzulassen und sinnvolle wie vertretbare Erfolge feiern zu können. Seelische Verwundung ist ein langanhaltender Effekt, den wir nicht übereilt lindern können. Im Gegenteil: wer sich zu große Schritte vornimmt, wird recht bald enttäuscht und fällt dann in ein Loch zurück, welches eigentlich schon als überwunden galt. Zwar ist Geduld eine Tugend. Genau deshalb lohnt es sich aber, sie als Prämisse für einen Gesundungsprozess anzuerkennen und trainieren zu lernen.
Wenn schlussendlich die Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung feststehen sollte, wird die Frage nach dem Umgang damit immer lauter. Letztlich gibt es kein Patentrezept für eine solche Situation, denn jeder von uns spricht auf die verschiedenen Bewältigungsstrategien, mit deren Hilfe wir eine solche Botschaft verarbeiten, ganz unterschiedlich an. Die oben genannten Ansätze stellen eine Auswahl von Selbsthilfemanualen dar, die die professionelle Psychotherapie und die psychiatrische Behandlung ergänzen sollen. Das Eingeständnis, psychisch krank zu sein, steht dabei an oberster Stelle der Liste, die es im Zuge des Umgangs mit der Störung abzuarbeiten gilt. Niemand kann ernsthafte Prognosen über den Verlauf solcher Erkrankungsbilder abgeben. Und doch zeigen die Erfahrungswerte auf, dass eine Aufgeschlossenheit gegenüber der seelischen Problematik zu sehr viel schnellerem Therapieerfolg führen kann. Sobald wir unsere psychische Verfassung als ein völlig normales Abbild unseres seelischen Innenlebens verstehen, werden Zusammenhänge offenbar, an denen es sich produktiv arbeiten lässt. Übermut, Überheblichkeit und der Versuch, sich als unantastbar zu definieren, erschweren dagegen jeglichen therapeutischen Zugang und ziehen eine potenzielle Erkrankung unnötig in die Länge. Daher sei jedem Betroffenen nahegelegt, von manch einem hohen Ross abzusteigen und die eigene Unverwundbarkeit aus Gründen der Außendarstellung, des Rufes oder der Reputation abzulegen. Denn das Eingestehen von Verletzlichkeit ist schlussendlich der einzige Zugang zur Veränderung, weil sich aus Hochmut keinerlei psychische Entwicklung und Entfaltung kreieren lässt.
Anmerkung: Dieser Artikel ersetzt keine medizinische, therapeutische oder heilkundliche Konsultation. Gleichsam erhebt er keinen Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Jegliche Haftung ist ausgeschlossen. Sofern Sie unter suizidalen Gedanken oder Absichten leiden, melden Sie sich direkt beim Notruf unter Tel.: 112, bei der nächstgelegenen Psychiatrie oder dem Sozialpsychiatrischen Dienst. Gesprächsangebote bietet beispielsweise die Telefonseelsorge kostenfrei unter 0800 / 1110111 oder 0800 / 1110222.
Autor, ehrenamtliche Beratung und Kontaktmöglichkeit:
Dennis Riehle | Professioneller Psychosozialer Berater (zertifiziert) | Entwicklungspsychologie (zertifiziert) | Entspannungstraining
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